Trump könnte Grönland tatsächlich überfallen
Es ist an der Zeit, seine Drohungen ernst zu nehmen.
Sie setzen alles auf Grönland.
Am Freitag traf die bislang ranghöchste amerikanische Delegation, die je einen Fuß auf Grönland gesetzt hat, auf dem Pituffik Space Base im Norden der Insel ein. Bei einer Ansprache an US-Truppen hielt JD Vance die aggressive Rhetorik der Regierung aufrecht: „Unsere Botschaft an Dänemark ist ganz einfach“, sagte er. „Ihr habt den Menschen in Grönland keinen guten Dienst erwiesen.“
Donald Trump war noch deutlicher. Bereits in seiner ersten Amtszeit brachte er erstmals die Idee ins Spiel, Grönland von Dänemark zu kaufen. Seitdem ist dieses zunächst abwegig wirkende Konzept zu einem ständigen Refrain geworden. Als er kurz vor Weihnachten seine Wahl für den nächsten US-Botschafter in Dänemark bekannt gab, schrieb Trump: „Im Interesse der weltweiten nationalen Sicherheit und Freiheit betrachten die Vereinigten Staaten von Amerika den Besitz und die Kontrolle über Grönland als absolute Notwendigkeit.“
Er griff dieses Thema auch in einem hitzigen, 45-minütigen Telefonat mit Mette Frederiksen, der dänischen Ministerpräsidentin, kurz vor seinem Amtsantritt1 sowie in seiner Rede vor dem gemeinsamen Kongress im März erneut auf.2 Diese Woche wurde er noch kompromissloser. Bei einer Ansprache im Weißen Haus, während Vance sich in Grönland aufhielt, betonte Trump mehrfach: „Wir müssen Grönland haben.“
Die Vorstellung, dass Amerika das souveräne Territorium Dänemarks annektieren könnte—eines langjährigen Verbündeten und Gründungsmitglieds der NATO—ist so absurd, dass sie bisher von den meisten nicht ernst genommen wurde. Und gewiss: Trump liebt es, seine politischen Gegner zu provozieren und sie in die Falle zu locken, seine halbironischen Aussagen in übertriebener moralischer Empörung zu verurteilen.
Doch in den letzten Tagen und Wochen hat die Trump-Regierung mit allen erdenklichen Signalen zu verstehen gegeben, dass sie es mit der Ausweitung der amerikanischen Kontrolle über die arktische Insel tatsächlich ernst meint. Und auch wenn eine gewaltsame amerikanische Annexion Grönlands katastrophale Folgen hätte—sowohl für die USA als auch für die Welt—ist die Aussicht auf ein solches Vorgehen inzwischen weit weniger abwegig, als gemeinhin angenommen wird. Es ist an der Zeit, die Möglichkeit einer amerikanischen Annexion Grönlands ernst zu nehmen.
Ein Ermittler, der mögliche Verdächtige in einem Mordfall bewertet, wird fragen, wer ein Motiv, die Mittel und die Gelegenheit hatte, eine solch abscheuliche Tat zu begehen. Dasselbe Raster kann hilfreich sein, wenn man beurteilen will, ob ein Staatsmann kurz davor steht, einen extremen Schritt zu unternehmen—wie etwa die Invasion eines anderen Landes. Und so außergewöhnlich es wäre, wenn die Vereinigten Staaten das Territorium eines langjährigen Verbündeten annektieren würden: Die schlichte Tatsache ist, dass Trump über alle drei Faktoren verfügt.
Einige der Gründe, warum Trump möchte, dass Amerika eine größere Rolle in Grönland spielt, sind durchaus nachvollziehbar. Während die Eiskappen schmelzen, werden die Gewässer rund um Grönland zunehmend schiffbar. Das könnte es Russland mit seinen zahlreichen Häfen in der Barentssee und China, dessen Schiffbaukapazitäten inzwischen die des Westens übertreffen, ermöglichen, auf neue Weise die Sicherheit Nordamerikas zu untergraben. Tatsächlich haben beide Länder in den vergangenen Jahren auf besorgniserregende Weise Stärke in den Gewässern um Grönland demonstriert.
Die derzeitigen Militäreinrichtungen der NATO auf Grönland bieten keinen ausreichenden Schutz gegen diese Gefahren. Die amerikanische Präsenz auf der Insel ist im Laufe der Jahre von siebzehn Basen mit Tausenden von Soldaten auf eine einzige Basis mit etwa 150 Soldaten geschrumpft. Dänemarks Präsenz beschränkt sich derweil auf eine Handvoll Schiffe, einige Dutzend Soldaten und eine Eliteeinheit auf Hundeschlitten.
Dieses Problem ist Militäranalysten schon lange bekannt. Und es wurde—trotz seines nachvollziehbaren Unmuts über den feindseligen Ton der Trump-Regierung—auch vom dänischen Außenminister eingeräumt. Laut Løkke Rasmussen: „Wir respektieren, dass die Vereinigten Staaten eine stärkere militärische Präsenz in Grönland brauchen… Wir—Dänemark und Grönland—sind sehr offen, dies mit Ihnen zu besprechen.“
Rasmussen hat recht, dass all dies in enger Abstimmung zwischen Dänemark und den Vereinigten Staaten geschehen könnte—entweder auf Grundlage des bestehenden Verteidigungsabkommens von 1951 oder im Rahmen eines neuen Vertrags. Das Problem ist jedoch, dass Trumps Motive, Dänemark unter Druck zu setzen, weit über legitime sicherheitspolitische Erwägungen hinausgehen.
Der zweite Teil von Trumps Motivation hat mit natürlichen Ressourcen zu tun. Die Schätzungen über deren Vorkommen auf Grönland gehen weit auseinander. Doch die Regierung scheint überzeugt, dass sich dort enorme Reserven an Öl, Gas und seltenen Erden finden lassen werden. Damit wird Grönland zum offensichtlichen Ort, um Trumps neue außenpolitische Doktrin in die Tat umzusetzen: das Gebiet amerikanischer Hegemonie verkleinern, aber aus den verbleibenden Einflusszonen mehr Wert schöpfen.
Trumps Sicht auf Außenpolitik wird, wie ich bereits argumentiert habe, von zwei grundlegenden Annahmen geprägt. Er glaubt, dass die Welt zu Recht in Einflusssphären aufgeteilt ist, in denen regionale Hegemonen frei agieren dürfen, wie sie wollen. Und er vertritt eine Nullsummensicht auf die Welt, der zufolge Amerika nur dann gewinnen kann, wenn jemand anderes verliert. Zusammengenommen machen diese beiden Annahmen den effektiven Erwerb Grönlands überaus verlockend: Amerika würde endlich mit der nötigen Rücksichtslosigkeit handeln, um seine materiellen Interessen durchzusetzen—ohne Rücksicht auf die Empfindlichkeiten seiner angeblichen Verbündeten.
Das letzte, und vermutlich wichtigste Motiv ist persönlicher Natur. Trump ist ganz offensichtlich daran interessiert, sich ein dauerhaftes Vermächtnis zu sichern; nicht umsonst freut er sich sichtbar über Memes, die sein Gesicht in den Kreis der großen Präsidenten auf Mount Rushmore einfügen. Und das Hinzufügen von 836.000 Quadratmeilen Territorium würde—ob man will oder nicht—sicherstellen, dass Trump ein fester Platz in den Geschichtsbüchern zukommt. Er könnte sich dann damit rühmen, der Präsident gewesen zu sein, unter dem die größte territoriale Ausweitung der Vereinigten Staaten stattgefunden hat—mehr als Thomas Jefferson (unter dem der Louisiana Purchase stattfand) und Andrew Johnson (unter dem Alaska gekauft wurde).
Es ist offensichtlich, dass Trump ein starkes Motiv hat, Grönland zu übernehmen. Ebenso wird zunehmend deutlich, dass er über die Mittel und die Gelegenheit verfügt, dies zu tun.
Während das Weiße Haus abwägt, ob es Trumps Rhetorik in Realität umsetzen soll, dürften dort zwei Fragen im Zentrum stehen: Können die Vereinigten Staaten das Territorium einnehmen und halten, ohne übermäßige Verluste an Blut und Geld? Und: Wie würde sich eine gewaltsame Übernahme Grönlands auf Trumps Beliebtheit im eigenen Land auswirken?
Die erste dieser Fragen lässt sich leicht beantworten. Die Vereinigten Staaten verfügen weiterhin über das größte Militär der Welt, mit über 1.300.000 aktiven Soldaten und einem Budget von rund 968 Milliarden Dollar. Sie besitzten bereits einen Stützpunkt in Grönland. Ihre Truppen haben umfassende Kampferfahrung. Dänemark hingegen verfügt nur über eine winzige Armee—etwa 21.000 aktive Soldaten und ein Budget von 7 Milliarden Dollar. Seine militärische Präsenz in Grönland ist vernachlässigbar. Und die meisten seiner Soldaten haben kaum oder gar keine Kampferfahrung. Jeder bewaffnete Konflikt wäre, wie ein dänischer Militäranalyst kürzlich scherzte, „der kürzeste Krieg der Welt.“
Schwieriger ist es vorherzusagen, wie eine militärische Besatzung aussehen würde. Die Grönländer haben Dänemark wenig zu verdanken; ebenso klar ist aber, dass sie ihren historischen europäischen Kolonisator nicht gegen einen neuen, sternenbannerbehangenen aus Amerika eintauschen wollen. Wenn das Weiße Haus glaubt, dass amerikanische Truppen in Grönland mit offenen Armen empfangen würden, verfängt es sich in derselben Illusion, die den letzten republikanischen Präsidenten in einen katastrophalen, selbstgewählten Krieg im Irak führte.
Doch trotz dieser auffälligen Parallele sind die Unterschiede zwischen Irak und Grönland letztlich bedeutsamer.3 Es ist unwahrscheinlich, dass die kleine Bevölkerung der Insel—bewaffnet mit wenig mehr als Jagdgewehren und ohne jüngere Geschichte innerer Konflikte—in der Lage oder willens wäre, einen anhaltenden Widerstand gegen einen Invasor zu organisieren. So grausam und unpopulär sie auch wäre: Eine Besatzung Grönlands dürfte weder an Menschenleben noch an finanziellen Mitteln so kostspielig sein, dass sie auf Dauer untragbar wäre.
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Damit stellt sich die Frage, wie die amerikanische Öffentlichkeit den Versuch beurteilen würde, Grönland unter die Kontrolle der Vereinigten Staaten zu bringen. Derzeit lehnt die Mehrheit der Amerikaner eine Übernahme Grönlands klar ab. Laut einer aktuellen Umfrage befürwortet nur etwa ein Viertel der Bevölkerung die Idee. In seiner zweiten Antrittsrede forderte Trump die Amerikaner auf, ihn nach „den Kriegen, in die wir nie hineingezogen wurden“ zu beurteilen; vielleicht wird ihn sein feines Gespür dafür, wie rasch die Amerikaner die Geduld mit unnötigen militärischen Abenteuern verlieren, letztlich davon abhalten, das Territorium eines Verbündeten zu überfallen.
Doch es ist keineswegs klar, dass eine Invasion Grönlands auf breiter Front unpopulär wäre. Wenn es den Amerikanern gelingt, die Insel schnell unter Kontrolle zu bringen und etwaige Widerstände effektiv zu unterdrücken, könnten manche, die der Idee heute noch ablehnend gegenüberstehen, Trump am Ende doch anerkennen, dass ihm ein politischer Coup gelungen ist, den kein anderer Präsident der Moderne je in Erwägung gezogen hätte. Demokraten, die zu Recht gegen ein solches Vorgehen sind, könnten sich dann in der Defensive wiederfinden; man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie Trump sie als unpatriotische Feiglinge beschimpft, die sich mutwillig seinem Plan in den Weg stellen, Amerika wieder groß zu machen.
Machen wir uns nichts vor: Eine gewaltsame Invasion Grönlands wäre eine Katastrophe—für Amerika ebenso wie für die Welt.
Jede solche Invasion würde das faktische Ende der NATO bedeuten. Es ist kaum vorstellbar, wie ein Militärbündnis, das auf gegenseitiger Verteidigung beruht, fortbestehen soll, wenn sein mächtigstes Mitglied das Territorium eines anderen annektiert—zumal der ursprüngliche Zweck des Bündnisses darin bestand, Europa vor äußerer Aggression durch Amerika zu schützen. Ein solcher Schritt würde Europa deutlich unsicherer machen, die territorialen Ambitionen Russlands weiter anheizen und Amerika letztlich schwächen.
Eine Invasion Grönlands würde zudem China de facto grünes Licht geben, Taiwan unter die Kontrolle der Kommunistischen Partei zu bringen. Pekings historische Ansprüche auf Taipeh sind schließlich kaum weniger plausibel als Washingtons historische Ansprüche auf Nuuk—und es ist schwer vorstellbar, wie Trump wirksam Sanktionen gegen China verhängen könnte, nachdem er selbst gerade Grönland annektiert hat.
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Letztlich wäre ein solcher Schritt auch der letzte Sargnagel für die Nachkriegsordnung. Jede noch verbliebene Illusion, die Welt werde durch internationales Recht regiert, wäre damit endgültig vorbei. Viele angebliche Normen des Völkerrechts wurden schon lange häufiger verletzt als eingehalten. Doch es ist kaum vorstellbar, wie selbst grundlegende Prinzipien, die historisch zumindest gelegentlich dabei geholfen haben, mächtige Staaten in Schranken zu halten—wie das Verbot territorialer Aggression—einen derart eklatanten Bruch mit der UN-Charta überleben könnten.
All das erklärt, warum eine gewaltsame Annexion Grönlands letztlich auch den Interessen der Vereinigten Staaten selbst schaden würde. Das stabilste und mächtigste Militärbündnis der Moderne gegen die Kontrolle über eine eisige, dünn besiedelte Insel—und einen Platz für Trump in den Geschichtsbüchern—einzutauschen, ist ein schlechtes Geschäft für das amerikanische Volk. Doch das bedeutet nicht, dass das Trump’sche Weiße Haus es ebenso sehen wird.
Trump ist der NATO seit jeher feindlich gesinnt. Wenn er sie als Nebeneffekt einer Gebietsvergrößerung der USA „versehentlich“ zu Fall bringen kann, anstatt durch einen einseitigen Austritt, dann dürfte ihm das eher als Vorteil denn als Problem erscheinen. Gleiches gilt für Amerikas Rolle als Hüter völkerrechtlicher Normen: Angesichts seiner Vorliebe für eine Weltordnung, die auf Einflusssphären beruht, dürfte es ihn kaum stören, wenn regionale Hegemonen seine Invasion Grönlands als stillschweigende Erlaubnis verstehen, ihren eigenen Willen in ihren jeweiligen Regionen durchzusetzen.
Trump verfügt über das Motiv, die Mittel und die Gelegenheit, Grönland zu übernehmen. Und dennoch erscheint die Vorstellung, dass Amerika tatsächlich in Grönland einmarschieren könnte, nach wie vor abwegig—und Trump hat eine lange Geschichte darin, von seinen skandalösesten Forderungen letztlich doch Abstand zu nehmen. Alles in allem ist es wohl weiterhin wahrscheinlicher, dass die Vereinigten Staaten und Dänemark am Ende irgendeine Art von ausgehandeltem Abkommen über eine verstärkte militärische Zusammenarbeit erzielen werden.
Dänemark hat bereits signalisiert, dass es bereit ist, bei der Absicherung legitimer Sicherheitsinteressen der Vereinigten Staaten zu kooperieren—Interessen, die viele europäische Länder durchaus teilen. Vielleicht wird Trumps Druckkampagne Dänemark auch dazu bewegen, das Angebot attraktiver zu gestalten—etwa indem amerikanischen Unternehmen erlaubt wird, die natürlichen Ressourcen der Insel zu erschließen, oder indem man den Einfluss dänischer Pharmariesen ins Spiel bringt. Warum sollte die „Kunst des Handelns“ an der Geopolitik haltmachen? Statt bei seiner nächsten Rede zur Lage der Nation die Annexion Grönlands zu feiern, könnte Trump ebenso gut den halben Preis für Ozempic bejubeln.
Und doch ist es richtig, dass die Wettmärkte die Möglichkeit einer Übernahme Grönlands durch Trump ernst nehmen. Meine eigene Einschätzung ist, dass die Wahrscheinlichkeit bis zum Ende seiner Amtszeit bei etwa eins zu drei liegt. Und angesichts der katastrophalen Folgen, die ein solcher Fehlschlag mit sich bringen würde, sind selbst diese Chancen alles andere als beruhigend.
Wie eine Person, die über das Telefonat informiert wurde, der Financial Times sagte: „Er war sehr entschieden. Es war ein kalter Schock. Zuvor fiel es schwer, das Ganze ernst zu nehmen. Aber ich glaube inzwischen, dass es ernst ist—und potenziell sehr gefährlich.“
„Wir brauchen Grönland für die nationale Sicherheit und sogar für die internationale Sicherheit, und wir arbeiten mit allen Beteiligten zusammen, um es zu bekommen. Aber wir brauchen es wirklich für die internationale Sicherheit der Welt. Und ich glaube, wir werden es bekommen. Auf die eine oder andere Weise—wir werden es bekommen.“
Der Irak hat eine Bevölkerung von 47 Millionen; Grönland hat 57.000 Einwohner. Irakische Aufständische erhielten Geld und Waffen von mächtigen Nachbarstaaten über durchlässige Grenzen; Grönland ist eine abgelegene Insel, die kaum mit ähnlicher Unterstützung rechnen dürfte. Irakische Kämpfer und Selbstmordattentäter ließen sich von der Verheißung eines Märtyrerlohns im Himmel anziehen; Grönland ist eine der säkularsten Gesellschaften der Welt.