John McWhorter über Pronomen
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John H. McWhorter unterrichtet Linguistik, American Studies und Musikgeschichte an der Columbia University. Er ist Moderator des Podcasts Lexicon Valley und schreibt eine wöchentliche Kolumne für die New York Times. McWhorter hat dreiundzwanzig Bücher veröffentlicht, darunter Nine Nasty Words, Woke Racism, The Power of Babel und Our Magnificent Bastard Tongue.
In dieser Woche sprechen Yascha Mounk und John McWhorter darüber, wie sich Sprache verändert – warum es im Englischen nur ein „you“ gibt, im Gegensatz zum deutschen „du“ und „Sie“, und ob wir das Singular-„they“ nicht einfach feiern sollten.
Das Transkript wurde gekürzt und zur besseren Verständlichkeit leicht bearbeitet.
Yascha Mounk: Beim letzten Mal, als du in diesem Podcast warst, haben wir über dein großartiges Buch zur Wokeness bzw. zur Identitätasynthese gesprochen. Diesmal geht’s um dein neues Buch über Pronomen – das, muss ich sagen, deutlich mehr Spaß macht, nicht zuletzt wegen seines Themas. Ein bisschen Politik kommt auch vor. Du sprichst über das wohl umstrittenste Pronomen der Gegenwart: das Singular-They. Aber im Großen und Ganzen geht es nicht um politische Fragen. Warum sollten uns Pronomen überhaupt interessieren? Was sagen sie über die englische Sprache aus? Warum lohnt es sich, darüber nachzudenken?
John McWhorter: Das ist eine gute Frage. Ich habe Pronoun Trouble geschrieben, weil Woke Racism ein Buch war, das ich für notwendig hielt – aber es war auch ein sehr wütendes Buch. Nach solchen Büchern schreibe ich immer gern wieder etwas Sprachwissenschaftliches, und genau das sollte dieses Buch sein. Pronomen sind spannend, weil sie eine kompakte Sammlung von Wörtern sind, die alle eine interessante Geschichte haben und mit historischen sowie politischen Fragen verbunden sind. Um ehrlich zu sein: Als ich das Buch vor zwei Jahren geschrieben habe, hatte ich keine Ahnung, dass wir heute in so einem Ton über Trans-Themen sprechen würden – und dass they/them so stark damit verknüpft sein würde. Ich habe das eher aus der Perspektive eines fröhlichen Linguisten betrachtet. Aber ja – Pronomen sind gerade angesagt. Das sind heiße kleine Wörter.
Mounk: Was sich, wie ich finde, auf interessante Weise durch das Buch zieht – und was man vielleicht erwähnen sollte, bevor wir tiefer in einzelne Pronomen einsteigen – ist die grundsätzliche Haltung zur Sprache. Eines meiner Lieblingsfakten aus der Linguistik, vor allem im Englischen, ist, dass zum Beispiel das Oxford English Dictionary für sich beansprucht, ein Wörterbuch des Gebrauchs zu sein: Es versucht nachzuvollziehen, welche Wörter sich durchgesetzt haben und wohl eine Weile bleiben. Es ist überhaupt nicht normativ. Im Vorwort des französischen Wörterbuchs der Académie Française dagegen steht, dass man – nach Beratung mit Institutionen wie dem französischen Ärzterat – souverän entscheidet, was ein Wort ist und was nicht. Das ist eine ganz andere Haltung.
Du gehst Pronomen nicht normativ an, sondern bist ziemlich skeptisch, was viele angebliche Regeln betrifft.
McWhorter: Ganz genau. Linguisten sind grundsätzlich deskriptiv unterwegs, und unser Gedanke ist: Sprache ist interessant, kompliziert und nuanciert, so wie sie ist. Wenn man vorgibt, Sprache müsse auf eine bestimmte Weise funktionieren, sind solche Urteile fast immer willkürlich. Und vor allem – wenn wir über gesprochene Sprache reden, nicht über Geschriebenes – funktionieren solche Vorschriften fast nie. Die Académie Française ist ein ehrwürdiges Institut, aber sie hat de facto so gut wie keinen Einfluss. Das gilt übrigens auch für andere Akademien – auch die in Deutschland, die versucht zu verhindern, dass zu viele englische Wörter ins Deutsche rutschen und etwas entsteht, das sie Denglisch nennen. Das hat schlicht keinen Effekt. Dinge passieren einfach, und es ist besser, man geht mit. Pronomen zum Beispiel verhalten sich ganz anders, als man es erwarten würde. Wenn du im späten 18. Jahrhundert in London jemand mit Perücke bist, findest du vielleicht, dass Englisch wie Latein sein sollte – schön und gut. Aber die Art, wie englische Pronomen tatsächlich funktionieren, ist mindestens genauso spannend wie das, was Latein da zu bieten hat.
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Mounk: Ein Beispiel, das, wie ich finde, stark mit der traditionellen Verehrung des Lateinischen im Englischen zusammenhängt, ist der Satz: Me and John are recording a podcast. Viele Leute würden sagen, ich spreche da falsch, obwohl das etwas ist, das für englische Muttersprachler ganz natürlich klingt. Was spricht dagegen? Warum stört das so viele? Und warum, würdest du sagen, liegen sie damit falsch?
McWhorter: Das ist so ein Fall, wo viele denken: Wenn man sagt Billy and me went to the store, müsste man auch sagen können me went to the store. Und wenn man das nicht sagt, dann darf man eben auch nicht sagen Billy and me went to the store. Die Wahrheit ist: Diese ganze Idee stammt von ein paar Leuten im 18. Jahrhundert, die fanden, dass Englisch wie Latein sein sollte – wo man nicht Billy and me, sondern Billy and I sagen würde. Aber in anderen Sprachen, zum Beispiel im Französischen – und die Franzosen halten ihre Sprache nun wirklich nicht für schlampig – würde man ganz selbstverständlich sagen Guillaume et moi sind ins Geschäft gegangen. Und die Welt dreht sich weiter, niemand zuckt auch nur mit der Wimper.
Es ist also eine Fehlinterpretation des Englischen, die auf einer – inzwischen ziemlich verstaubten – Verehrung des Lateinischen und Altgriechischen beruht. Und deshalb fühlen wir uns irgendwie unwohl, wenn wir sowas sagen wie Yascha and me are doing a podcast. Dabei ist das vollkommen normales Englisch – genauso wie es im Französischen völlig normal wäre. Klar, man gewöhnt sich ziemlich schnell daran, zu sagen Yascha and I are doing a podcast, das geht dann irgendwann leicht von der Zunge. Aber das hat rein gar nichts mit der tatsächlichen Grammatik des Englischen zu tun. Und wir können das nicht „reparieren“. Kein Mensch wird plötzlich anfangen, sich wohl damit zu fühlen zu sagen Him and me were in the store – beim Radiomachen oder auf einer Bühne. Im Buch vergleiche ich das mit der Vorstellung, dass man im Sommer nur kurze Söckchen bis zum Knöchel tragen darf und keine normalen langen Socken. Ergibt eigentlich keinen Sinn – die langen wären sogar praktischer. Aber so ist es nun mal. Wir sollten uns klarmachen: Wenn jemand sagt Him and me went to the store, dann liegt das nicht an mangelnder Bildung. Sondern daran, dass es eine künstliche Regel ist, die wir gelernt haben zu befolgen. Und das ist eben die Geschichte von Yascha and me.
Mounk: Da schwingt vielleicht sogar ein bisschen Klassenkritik mit. Oft ist es ja so, dass solche normativen Regeln einem erst im Lauf der schulischen Bildung beigebracht werden – etwa, dass Me and John are recording a podcast angeblich falsch sei. Wer dann John and I sagt, zeigt damit, dass er gebildeter ist. Geht’s also auch darum, dass man die Sprache zwar nicht wirklich verändert, aber implizit sagt: Diese anderen Leute da drüben sind ungebildet, die sprechen nicht korrekt, und das bedeutet irgendwie, dass mit ihnen etwas nicht stimmt?
McWhorter: Ja, das spielt auf jeden Fall mit rein – vor allem, weil Klassismus in einer aufgeklärten Gesellschaft heute oft noch akzeptierter ist als Rassismus – zumindest in Amerika. Klassismus bietet da ein Ventil für diesen Teil menschlicher Urteile. Und weil man das tun kann, ohne groß darüber nachzudenken, ist es ein bisschen wie früher der Gesellschaftstanz. Oder wie damals, als man als gebildeter Mensch wenigstens so tun musste, als könne man Klavier spielen – oder, bis vor Kurzem noch, als müsste jemand wie ich wenigstens so tun, als könne er Französisch. Das waren alles Klassenmarker – und genauso ist es heute mit Billy and I. Man ist stolz darauf, diesen Trick gelernt zu haben, und nutzt ihn als praktische Möglichkeit, auf andere herabzublicken, die das nicht haben. Es ist eine Spielart des heutigen Klassismus – jetzt, wo wir keine Spazierstöcke und Sonnenschirme mehr mit uns herumtragen.
Mounk: Es gibt natürlich auch eine rassische Dimension. Im amerikanischen Englisch gibt es einen ganz eigenen Dialekt, der in vielen afroamerikanischen Communities gesprochen wird. Auch da hört man oft: Das ist schlechtes Englisch. Du hast, wenn es um Pronomen ging, aber auch in anderen Kontexten, oft verteidigt, dass das einfach ein Dialekt ist – wie regionale oder andere sprachliche Varianten auch. Und dass daran grundsätzlich nichts besser oder schlechter ist.
McWhorter: Das ist ein Argument, das meiner Meinung nach oft nicht ganz sauber geführt wird. Denn wenn man sagt, das ist deren Sprechweise, Teil ihrer Kultur – dann wird jede Kritik daran sofort als rassistisch gewertet. Manche sagen dann: Nein, es ist nicht rassistisch, wenn ich sage, du solltest besser sprechen. Im Gegenteil – ich bin ehrlich und will dir helfen, besser Zugang zur Gesellschaft zu bekommen. Aber die Wahrheit ist: Die meisten Menschen sprechen sowohl sogenanntes „Black English” als auch „Standard English”, je nach Situation – und sie denken dabei nicht einmal bewusst darüber nach. Und noch wichtiger: Black English ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht kein kaputtes Englisch. In mancher Hinsicht ist es sogar komplexer als Standard English. Es gibt viele spannende Phänomene darin. Black English ist also nicht weniger legitim als bayerisches Deutsch im Vergleich zum Hochdeutschen. Es sind einfach Varianten eines Themas. Sie haben unterschiedliche soziale Bedeutungen – aber das heißt nicht, dass sie irgendwie „falsch“ oder minderwertig wären.
Mounk: Viele Deutsche würden dir bei dem Vergleich mit dem Bayerischen widersprechen – aber als jemand aus München stimme ich dir natürlich zu. Wie können wir beurteilen, ob es Sprachgebrauch gibt, den man tatsächlich kritisieren darf? Ich nehme an, wenn du deine Artikel schreibst, denkst du dir auch: Wie kann ich eleganter formulieren? Was ist das treffendere Wort? Wo verläuft also die Grenze zwischen einem komischen, von oben herab belehrenden Sprachwächter, der anderen vorschreiben will, wie sie zu sprechen haben – und dem Wunsch, unsere Sprache möglichst präzise und schön zu nutzen? Ein Beispiel, das jetzt nicht direkt aus Pronoun Trouble stammt: In manchen Wörterbüchern steht mittlerweile, dass literally auch figuratively bedeuten kann – weil Leute das ständig sagen, obwohl es wörtlich gar nicht passiert ist. Darf ich mich über diese Verwendung von literally aufregen, weil das Wort damit seine ursprüngliche, nützliche Bedeutung verliert – gerade wenn es unbedacht gesagt wird? Gibt es also Dinge in der Sprache, bei denen auch du ein bisschen zum Griesgram wirst? Oder würdest du sagen: Wenn Leute literally einfach als Verstärker benutzen – wie sehr oder extrem – dann sollten wir das einfach hinnehmen, es geht ja nichts verloren?
McWhorter: Wichtig ist vor allem: Wird die Bedeutung noch verstanden? Diese Verwendung von literally im Sinne seines Gegenteils nervt viele Leute – aber es ist ja nicht so, dass jemand nicht versteht, was gemeint ist, wenn jemand sagt: I was literally dying of thirst, während er vor dir steht und ganz offensichtlich nicht gestorben ist. Das ist wie bei dem Wort fast: Du kannst sagen, a rabbit runs fast, aber auch the chair was screwed fast to the floor. Zwei völlig unterschiedliche Bedeutungen – aber niemand ist je verwirrt. Oder to seed – du kannst eine Melone entkernen oder ein Feld besäen. Das eine bedeutet, die Kerne rausnehmen, das andere, sie hineinlegen. Im Englischen gibt’s etwa 75 solcher Bedeutungs-Paare. Literally ist nur eines davon.
Es gibt also kleine Zonen in der Sprache, die logisch keinen Sinn ergeben, aber trotzdem niemanden verwirren – weil Sprache immer kontextabhängig ist. Manche Regeln sind einfach willkürlich. Zum Beispiel: You can’t just walk into the room and start yelling – das ist ein völlig normaler englischer Satz. Aber für mich ist das just darin eigentlich falsch. Was du meinst, ist: You can’t simply walk in. Wenn du aber sagst you just can’t, dann bedeutet das eher: Du darfst das auf gar keinen Fall tun, und zwar aus einem moralischen Grund. Dieser Unterschied stört mich. Ich habe das you just can’t auch in alten Filmen gehört – das ist also nichts Neues –, aber für mich klang das immer unlogisch. Trotzdem: Niemand ist je dadurch verwirrt worden. Ich würde also nie sagen, dass alle aufhören sollen, das zu sagen. Erstens, weil sie es sowieso nicht tun würden. Und zweitens, weil es keinen Grund gibt, ihnen das auszureden – die Bedeutung ist ja immer klar.
Mounk: Ich versuch mal einen kleinen Einwand – du kannst mir ja sagen, warum ich da falsch liege. Vieles davon ist einfach eine ästhetische Frage. Wenn ein Wort eine neue Bedeutung bekommt, bleibt die alte in der Regel trotzdem erhalten. Man kann Begeisterung zum Beispiel ausdrücken mit cool, great, amazing oder rad, also radical. Und ich weiß: Wenn ich sage Jean-Marie Le Pen was a radical politician, dann heißt das etwas anderes, als wenn mein Freund, der gerne Ski fährt, sagt: That was rad. Da geht keine Bedeutung verloren.
Aber bei literally fühlt es sich für mich in manchen Fällen ein bisschen anders an. Wenn jemand sagt I’m literally starving to death, dann stört mich das auch nicht – man weiß ja offensichtlich, dass es nicht wörtlich gemeint ist. Aber wenn ich sage he literally shouted at me, dann finde ich, ist es durchaus nützlich, literally zu haben, um klarzumachen, dass etwas wirklich passiert ist. Manche Leute werfen das Wort aber einfach so rein, als wollten sie damit sagen: Er war einfach sehr unhöflich. Es soll nur den Satz verstärken. Und genau hier könnte es zur Verwirrung kommen – wir verlieren womöglich die Möglichkeit, mit literally auszudrücken, dass etwas tatsächlich geschehen ist. Das wäre zwar kein Weltuntergang. Aber es wäre schon ein kleiner Verlust – in unserer Fähigkeit, etwas Reales klar und elegant auszudrücken.
McWhorter: Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Aber ehrlich gesagt: Ich habe noch nie einen Fall erlebt, in dem literally wirklich zweideutig war. Wenn jemand sagt he was literally shouting at me, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass er damit meint, er war nur ein bisschen laut. Er meint damit ganz klar: Die Person hat wirklich rumgeschrien. Und na ja – jede Sprache hat so ihre kleinen Schwächen, wo man Dinge nicht ganz so elegant sagen kann wie vielleicht in anderen Sprachen. Mein Lieblingsbeispiel ist Französisch. Da kann man nicht sagen, dass etwas herausragt. Stell dir vor, du parkst dein Mietauto auf dem Parkplatz, alle stehen in einer Linie, aber dein Auto steht nicht ganz drin, das Heck guckt raus – du kannst sagen, du hast schlecht geparkt, du kannst vieles sagen, aber du kannst nicht einfach ins Büro gehen und sagen: Meins ist das Auto, das hinten raussteht. Dafür gibt’s einfach kein Verb. Oder im Dänischen gibt es kein eigenes Wort dafür, Flüssigkeit von etwas zu wischen. Du kannst etwas löschen, aber nicht abwischen. Die Leute kommen trotzdem zurecht – aber jede Sprache hat solche Macken. Was literally angeht und die Idee, dass es wirklich zu Mehrdeutigkeit führt – da müsste ich mal genauer hinhören, vielleicht hast du recht. Ich weiß, was du meinst mit dem möglichen Bedeutungsverlust. Aber persönlich habe ich das so noch nicht erlebt.
Mounk: Aber wäre es nicht besser, eine Sprache zu haben, in der man solche Probleme irgendwie umgeht? Klar, weder Dänemark noch Frankreich brechen deswegen auseinander. Aber wenn wir ein englisches Beispiel nehmen – das Wort biweekly macht mich wirklich wahnsinnig. Es ist nicht so, dass es falsch verwendet würde. Aber meinen die Leute damit jetzt zweimal pro Woche – oder einmal alle zwei Wochen? Es ist wirklich nervig, dass wir im Englischen zwei völlig verschiedene Bedeutungen in ein und dasselbe Wort gepackt haben. Ich glaube nicht, dass das in der Praxis umsetzbar wäre – aber wenn wir irgendwie eine Sprachkommission hätten, die klarmacht: Bi-weekly bedeutet zweimal pro Woche, und es darf niemals verwendet werden für alle zwei Wochen – das würde ein paar Probleme im Englischen lösen.
McWhorter: Ich geb dir recht – bi-weekly und bi-annual sind unglücklich gewählt, weil sie tatsächlich zu Missverständnissen führen können. Ich habe sogar von Anwälten gehört, dass sie das bestätigen. Sie sagen, sie mögen diese Begriffe nicht und wünschten, man könnte das ändern. Ich bin kein Anwalt, aber ich vermute, dass in 99% der Fälle der Kontext das Problem löst.
Mounk: Das verbuche ich jetzt einfach mal als großen Sieg. Kommen wir zu den Grundlagen der Pronomen. Was leisten Pronomen grammatikalisch in einer Sprache? Welche Elemente sind in allen Sprachen gleich? Und welche Entscheidungen hat das Englische im Lauf der Zeit getroffen, die es vielleicht von anderen Sprachen unterscheiden?
McWhorter: Pronomen stehen stellvertretend für Substantive. Es gibt keine menschliche Sprache, in der man sagen würde: I bought a chair, I put the chair in the living room and I sat in the chair, and every time I look at the chair I think about the time I bought the chair. Nachdem du den Stuhl einmal erwähnt hast, sprichst du ihn als it an. Wenn du Henrietta einmal eingeführt hast, sagst du she. Und so weiter. Es gibt keine Sprache der Welt, bei der das nicht so ist. Egal, welche Sprache man lernt oder entdeckt – man lernt ziemlich früh, wie sie diese „Stellvertreter“ für Nomen regelt. Unterschiede gibt es dabei vor allem in der Feinheit – also wie viele verschiedene Pronomen es für wie viele verschiedene Bedeutungsnuancen gibt. Das Englische ist da ziemlich minimalistisch. Nur he und she sind nach Geschlecht unterschieden, aber alle anderen nicht. Das ist im Vergleich zu anderen Sprachen ziemlich dünn. In Westeuropa kommt das vereinzelt vor – aber Englisch treibt es da besonders weit. Wir haben schlicht zu wenige. Das war über Jahrhunderte hinweg ein zentrales Thema in der Entwicklung der englischen Pronomen. Im Deutschen zum Beispiel hast du für die zweite Person Singular das du, dann für die Mehrzahl ihr und für die höfliche Form Sie. Im Englischen gibt’s einfach nur you. Das ist ein extrem kompaktes Pronomen-Set, das das arme kleine you ganz schön überstrapaziert. Und das ist im Englischen seit Jahrhunderten so.
Mounk: Ich überlege gerade, ob es Sprachen gibt, die noch weniger Pronomen haben. Vielleicht Chinesisch?
McWhorter: Kommt darauf an, wie man zählt. Sie haben zwei Formen von you: nǐ für Einzahl und nǐmen für Mehrzahl. Aber tā bedeutet he, she und it – alles in einem. Mandarin und Englisch haben eine ähnliche Geschichte: Beide Sprachen wurden von sehr vielen Menschen als Zweitsprache verwendet. Und wenn das passiert, neigen Sprachen dazu, sich ein bisschen abzunutzen. Mandarin ist so ein Fall – aber sobald du in die anderen chinesischen Sprachen gehst, findest du wieder normale Mengen an Pronomen.
Mounk: Das ist wirklich eine interessante Beobachtung. Mir war nämlich auch aufgefallen, dass Chinesisch – weil es maskuline, feminine und neutrale Formen in tā zusammenfasst – relativ wenige Pronomen hat. Und ebenso wie im Englischen dachte ich: Vielleicht liegt das einfach daran, dass das sehr alte Sprachen sind. Aber du sagst: Es geht nicht um das Alter, sondern darum, ob die Sprache als regionale Lingua franca dienen musste – was dann zu einer Vereinfachung führt.
McWhorter: Ganz genau.
Mounk: Welche Pronomen hat das Englische im Lauf der Zeit verloren? Wenn man zurückgeht zu Shakespeare oder den Quäkern – welche Pronomen haben die benutzt, die wir heute nicht mehr verwenden?
McWhorter: Wenn Englisch heute „normal“ wäre, würden wir thou für eine einzelne Person verwenden und you für mehrere. So wie wir he und him haben – also Subjekt und Objekt –, hatten wir früher auch thou und thee. Und im Plural war’s früher auch nicht nur you. Da gab’s ye als Subjekt und you als Objekt.
Mounk: Erklär mal, worin genau der Unterschied zwischen ye und you lag?
McWhorter: Ye war das Subjekt. Also: Ye sit there, oder Hear ye! You war nur das Objekt. Zum Beispiel: Helen and Fred, I see you. Aber: Ye ought to sit down now. We're about to eat. Das ist natürlich kein Mittelenglisch, aber du verstehst, was ich meine.
Mounk: Also im Prinzip wie der Unterschied zwischen we und us?
McWhorter: Genau. Oder wie he und him. Das war damals ganz selbstverständlich – für uns heute wirkt das eher ungewohnt. Und dann, im frühen Mittelenglisch und davor, gab’s noch wit und git. Wit bedeutete: wir zwei. We war dann: ich und zwei oder mehr andere. Git war: ihr zwei. Und you war dann, wenn es mehr als zwei waren. Das waren sogenannte Dual-Pronomen – die haben viele Sprachen. Das war ein Überbleibsel aus dem Altgermanischen. Wir hatten die mal, und dann haben wir sie aufgegeben.
Mounk: Was ist mit einem der auffälligsten Merkmale englischer Pronomen – nämlich den Höflichkeitsformen? Viele Sprachen drücken Höflichkeitsunterschiede über das verwendete Pronomen aus. Im Französischen ist das tu und vous, im Deutschen du und Sie. Ist es reiner Zufall, dass es das im Englischen nicht gibt?
McWhorter: Das ist bis zu einem gewissen Grad ein Rätsel, denn der Wandel beginnt im 17. Jahrhundert. Früher sagte man you zu jemandem, der einem übergeordnet war, und thou zu jemandem, der einem untergeordnet war. Dann wurde you zur höflichen Form und thou sagte man zu Kindern oder engen Vertrauten. Also genau das, was man in Europa so macht. Das ist der normale Sprachgebrauch dort. Aber im Englischen hat you – ursprünglich der Plural – einfach angefangen, auch die Einzahl zu übernehmen. Und so hatten wir irgendwann keine höflichen Pronomen mehr. Wir können natürlich sehr direkt sein und sagen your highness oder jemanden mit sir ansprechen – aber unser vous ist verschwunden.
Ich hätte im Buch gern geschrieben, das lag an den Ursprüngen der bürgerlichen Kultur im englischsprachigen Raum – oder daran, dass man in den Städten mit all den Neuankömmlingen nicht mehr wusste, wie man einander ansprechen soll. Aber all das trifft genauso auf Oslo, Berlin, Moskau oder Rom zu. Solche Veränderungen fanden überall in Europa statt. Warum thou gerade in London, Oxford und Cambridge verschwand – während es auf dem Land noch länger überlebt hat und in manchen Gegenden bis heute vorkommt – liegt unter anderem daran, dass Englisch einen eigenen „Charakter“ hat. Mit Charakter meine ich die Eigenart der englischen Grammatik, die sich damals herausgebildet hat, als die Wikinger ab dem 8. Jahrhundert die Sprache massiv beeinflusst haben. Englisch nimmt die Dinge gern locker. Linguisten verstehen bis heute nicht ganz, warum manche Sprachen so sind und andere nicht – aber es ist eindeutig: Manche Sprachen wollen komplizierter sein, andere wollen möglichst wenig „Möbel im Raum“. Alle Sprachen werden auf ihre Weise komplex – aber wenn es um Pronomen oder Verbformen geht, will Englisch einfach in Ruhe gelassen werden. Und so ging es auch mit den Pronomen weiter – bis hin zur völligen Abschaffung von thou, anstatt es, wie andere Sprachen, einfach auf bestimmte Kontexte zu beschränken. Eine „normale“ Sprache hätte das so gemacht. Aber wir kommen eben mit weniger aus.
Mounk: Interessant ist ja, dass wir ältere Sprachformen automatisch mit Formalität verbinden – was eigentlich etwas seltsam ist. Es ist ja nicht klar, dass Menschen im 16. Jahrhundert grundsätzlich formeller waren als heute. Wenn ich heute in New York rumlaufen und sagen würde: It’s very nice to see thee, würden die Leute denken: a) Ich hab ’ne Macke, und b) ich bin extrem formell. Dabei war thou ja eigentlich die informelle Form – und you die formelle. Aber so empfinden wir das heute nicht mehr.
McWhorter: Ja, das ist witzig. Ich bin in den 70ern und 80ern aufgewachsen, und weil ich mir damals selbst Sprachen beigebracht habe, habe ich aus französischen Lehrbüchern gelernt: Es ist gar nicht wie in alten Filmen – immer mehr Menschen sagen tu zueinander. Dasselbe hab ich über das deutsche du gehört. So war das Ende des 20. Jahrhunderts. Aber im Englischen hätte man dann eigentlich erwarten können, dass sich thou durchsetzt. Stattdessen hat sich aber you, also die vous-Form, durchgesetzt – was man nun wirklich nicht erwartet hätte. Und doch – so ist es gekommen.
Mounk: Inwieweit können kollektive soziale oder politische Haltungen eine Sprache auf diese Weise beeinflussen? Ich habe mal die Geschichte über Schweden gehört – ein vergleichsweise egalitäres Land –, in dem es besonders nach den 60ern, 70ern und 80ern als unangebracht galt, die formelle Anrede zu benutzen. In der Folge hat sich dort die informelle Form weitgehend durchgesetzt. Würdest du sagen, das war eine organische gesellschaftliche Entwicklung? Oder gibt es solche Fälle von politischer Einflussnahme? Gibt es Beispiele, bei denen – ob bei Pronomen oder anderen grundlegenden Sprachelementen – der Beschluss eines Königs oder einer anderen sehr mächtigen Person den Verlauf der Sprache grundlegend verändert hat, etwa bis hin zum Verschwinden einer Höflichkeitsform?
McWhorter: Es ist schwer, so etwas in der gesprochenen Alltagssprache durchzusetzen – im Schriftlichen klappt das eher. Wenn es funktioniert, dann meist in kleinen, homogenen Gemeinschaften mit einem gewissen Stolz auf die eigene Identität. Diese Geschichte mit Schweden spielte sich in einem sehr kompakten Land ab, das bis vor Kurzem recht homogen war und ein stark ausgeprägtes Bewusstsein für seine Traditionen hatte. Diese Art von Beschluss, kombiniert mit einem gemeinsamen Gefühl, das buchstäblich fast alle teilten, hat dazu geführt, dass die vous-Form dort tatsächlich verschwinden konnte. In Russland, China oder anderen größeren und vielfältigeren Ländern wäre das viel unwahrscheinlicher. Und genau deshalb ist es zum Beispiel auch in den USA so schwer, so etwas durchzusetzen.
Mounk: Du hast vorhin über Wörter gesprochen, die in bestimmten Sprachen fehlen – zum Beispiel das Wort für herausragen im Französischen. Du scheinst zu glauben, dass auch das Englische bei den Pronomen so eine Lücke hat. Wenn ich in einem Raum voller Menschen bin und you sage, ist manchmal unklar, ob ich John meine – oder alle im Raum, die mich gerade hören. Natürlich gibt es dafür gewisse intuitive Umgehungen – wie zum Beispiel das Wort y’all. Ist das für dich ein echtes Problem? Es wirkt so, als würdest du solche Wörter gern zurückbringen – nicht per Sprachkommission mit Würdenträgern, sondern ganz organisch. Du findest also, dass es eine positive Entwicklung ist, dass sich Formen wie y’all gerade wieder etablieren?
McWhorter: Weißt du was? Ich habe das noch nie so betrachtet – aber es ist immer hilfreich, Dinge neu zu ordnen. Wir sprechen über Lücken im Französischen oder im Russischen. Die Lücke im Englischen sind die Pronomen. Die Lücke ist, dass wir kein Wort für thou mehr haben. Wir versuchen, das mit Formen wie y’all zu lösen. Das Problem ist: Sobald eine Sprache stark standardisiert und festgeschrieben ist – so sehr, dass man sie beim Sprechen schon als schriftliches Bild im Kopf hat –, ist es extrem schwer, solche grundlegenden Veränderungen durchzusetzen. Vor allem bei Pronomen. Denn Pronomen sind keine normalen Wörter. Sie sind Werkzeuge. Nägel. Schrauben. Blutgefäße. Und deshalb ist es schwer, da etwas zu ändern. Wenn also y’all auftaucht, dann bleibt das immer Slang. Es wird nicht einfach als neues Wort ins Wörterbuch aufgenommen – zumindest nicht ohne den Hinweis, dass es umgangssprachlich ist. Wir versuchen also, wie andere Sprachen zu sein – denn es ist wirklich seltsam, kein Wort für thou zu haben. Aber solche Alternativen können eben nie offiziell werden. Ich glaube, was wir aktuell beobachten – angesichts der zunehmenden Informalität in den USA und anderen westlichen Gesellschaften – ist, dass sich y’all immer mehr in der Alltagssprache verbreitet, auch außerhalb des Südens und der Black Community. Ich sehe das bei den Studierenden an Columbia – die kommen meist nicht aus dem Süden – und versuchen trotzdem, mit y’all die Sprache irgendwie zu normalisieren. Leute in meinem Alter haben das damals nicht gemacht. Das liegt an dieser Lücke. Ich denke, viel weiter wird sich das auch nicht verbreiten. Auch you guys – das wird nie Standard, aber wir benutzen es, weil wir’s einfach brauchen.
Mounk: Ja, das ist interessant – selbst in meiner Zeit in den USA: Vor 20 Jahren hätte ich gedacht, ich gebe mich als Südstaatler aus, wenn ich y’all sage. Das hätte sich sehr seltsam angefühlt. Aber heute, in der gesprochenen Sprache, rutscht es mir manchmal raus. Wenn ich aber am Semesteranfang meine Studierenden mit Hi, y’all anschreiben würde – das würde sich immer noch falsch anfühlen. Das würde ich nicht machen.
McWhorter: Niemals. Aber wenn wir beide bei einer Konferenz wären, könntest du sagen: See y’all at dinner – wenn du gerade in guter Stimmung bist. Das wird inzwischen normal, weil wir’s einfach brauchen.
Mounk: Eine der Lücken in der englischen Sprache ist also, dass wir Schwierigkeiten haben, bestimmte Arten von Plural auszudrücken. Jetzt haben wir das sogenannte singular plural bekommen – und das ist aus zwei Gründen umstritten. Zum einen, weil Preskriptivisten jede Form von Sprachinnovation grundsätzlich ablehnen – das ist also ähnlich kontrovers wie y’all. Aber es ist auch aus einem zweiten Grund umstritten: weil es eng mit der Debatte über Geschlecht und trans Themen verknüpft ist. Erklär uns mal diese Lücke – wie das Singular-they da eine Lösung sein kann, und wie wir darüber nachdenken sollten.
McWhorter: Ja, es gibt Situationen, in denen man das Geschlecht nicht nennen muss. In 99,9 % der Fälle reicht der Kontext vollkommen aus. Es gibt Momente, da will oder braucht man das einfach nicht. Im Englischen ist es seit Chaucer völlig normal, Sätze zu sagen wie: A person can’t help their birth. Du sagst nicht his birth oder her birth – beides wirkt zu konkret. Das ist also nichts Neues. Das war schon immer Teil dessen, was viele als bestes Englisch angesehen haben – auch von den besten Autoren, schon seit Ewigkeiten. Aber dann kamen die Grammatiker – und wieder hatte das mit der Verehrung von Latein und Altgriechisch zu tun – und sagten: They muss plural sein, weil es früher nur plural war. Wenn du in Beowulf schaust, ist they nur Plural. Aber Sprache verändert sich – und Pronomen tun das auch. Und ganz ehrlich: Man hat schon lange gedacht, dass they auch im Singular benutzt werden kann. Wenn wir ein größeres Korpus an Altenglisch hätten, würde ich eine Menge Geld darauf wetten, dass es das damals schon gab – es ist nur nicht überliefert. Selbst wenn Strunk & White in The Elements of Style sagen, man solle nicht schreiben: Tell each student that they can hand in their paper after 5 o’clock – wir alle tun es. Vielleicht schreibt man es nicht so hin. Vielleicht lässt der Redakteur es nicht zu, wenn man fürs Publikum schreibt. Aber jeder sagt es. Niemand hört das und denkt: Moment, meinen die jetzt eine Gruppe oder eine einzelne Person? Dann, so um 2015 herum, will eine nicht-binäre Person ein Pronomen, das für sie Sinn ergibt. Und da erscheint es logisch, sich einfach ein neues Pronomen auszudenken – was ja auch Spaß machen würde. Viele von uns denken sich gern neue Wörter oder ganze Sprachen aus. Aber Pronomen funktionieren so nicht. Man kann kein neues Pronomen einführen – sie sind zu stark eingebunden. Wir benutzen sie viel zu oft, um einfach ein neues Wort zu etablieren. Manche Sprachen hätten da 50 Optionen. Aber das gilt nicht für uns. Deshalb ist es absolut sinnvoll, nicht-binäre Menschen mit they anzusprechen. Wir stehen vor der Aufgabe, uns an etwas zu gewöhnen, das sich zunächst unnatürlich anfühlt. Aber ich bin ziemlich überzeugt: Mit etwas Geduld und Übung können wir das alle gut hinbekommen.
Mounk: Das ist wirklich interessant – du nimmst da eine Art Mittelposition ein in dieser Sprachdebatte, die ja gleichzeitig ein Kulturkampf ist. Auf der einen Seite stehen Leute, die sagen: So zu sprechen ist doch völlig abwegig – jemanden mit they anzusprechen, das widerspricht dem Englischen. Auf der anderen Seite gibt es viele, die sogenannte Neopronomen verwenden wollen – ze und zir – was ein bisschen klingt, als würde ein Deutscher Englisch sprechen – und all die anderen erfundenen Pronomen mit politischem Befreiungsanspruch. Du sagst: Hört auf, euch über they zu echauffieren – als Personenbezug ist das völlig in Ordnung. Aber lasst das mit den neuen Pronomen – das wird einfach nie funktionieren. Stimmt das so ungefähr?
McWhorter: Ja, genau. Und es ist nicht so, dass ich nicht sehe, wie viel Spaß solche erfundenen Pronomen machen können – aber ze und Co. werden nie weiterkommen als Latinx. Und Latinx ist ja nicht deshalb illegitim, weil es nur von Künstlern, Intellektuellen und Aktivisten benutzt wird. Viele denken, das sei irgendwie falsch. Aber es ist einfach nicht das, was eine lateinamerikanische Person auf der Straße benutzen würde. Das wird einfach nicht passieren. Und mit ze ist es dasselbe. Ich wünschte, es wäre anders – aber das heißt, wir stehen vor der Herausforderung, they zu verwenden. Und das ist schwierig, weil das in der gesprochenen Sprache – gerade im Gegensatz zu he/she – nicht unserer natürlichen Sprachgewohnheit entspricht. Wir können nicht auf die Strategien zurückgreifen, die wir fürs Schreiben nutzen. Und genau deshalb mag ich they. Ich finde, es ist moralisch richtig – und es bringt tatsächlich eine zusätzliche Unterscheidung in unser Pronomensystem, das das dringend nötig hatte – auch wenn es dabei zu einer Homonymie kommt. Außerdem: Sprachwandel passiert nicht oft sichtbar. Meistens geht er sehr langsam vor sich. Aber hier sehen wir ihn live. Wenn man zum Beispiel alte Filme schaut oder Bücher liest – die Wörter wonderful und fantastic bedeuten da oft etwas völlig anderes. Wenn jemand 1925 sagt: I don’t want to be fantastic about this, meint er: Ich will mir nichts zusammenfantasieren. Wenn bei Jane Austen etwas wonderful ist, meint sie nicht: toll, sondern: wundersam, erstaunlich, bewunderungswürdig. So etwas passiert die ganze Zeit. Manche Leute – gerade Literaten oder Ältere – benutzen fantastic auch heute noch so. Aber man merkt diesen Wandel nicht bewusst. Man spürt nicht, wie er passiert. Beim neuen they dagegen – wie ich im Buch schreibe – hat es sich irgendwo zwischen dem Ende von The Office und dem Moment, in dem Donald Trump die Rolltreppe runterkam, plötzlich durchgesetzt. Und hier sind wir jetzt – mitten drin. Ich sag einfach: Schauen wir zu. Es wird nicht wieder verschwinden. Es ist schon zu fest etabliert – zumindest in bestimmten Kreisen. Und wenn wir in oder mit diesen Kreisen leben, dann ist das eben etwas, das wir akzeptieren sollten, denke ich.
Mounk: Eine Sache, die ich an Sprache besonders interessant finde, ist, wie schwer sich dieses normative Sprachgefühl eigentlich umsetzen lässt – also der Versuch, Leuten vorzuschreiben, wie sie Sprache verwenden sollen. Wir haben ein neues Pronomen erfunden, und es ist sehr schwer, das wirklich durchzusetzen. Und das andere ist: Sprache zeigt oft, wie wir die Welt wahrnehmen – ob wir wollen oder nicht –, und auf eine Weise, die wir gar nicht immer kontrollieren können. Ich habe ein Beispiel im Kopf, bei dem es um genau so eine Pronomen-Kontroverse geht. Im letzten niederländischen Wahlkampf saß ein rechtsextremer Politiker in einer Fernsehtalkshow, zusammen mit einem trans Gast – ich glaube, es war eine trans Frau, also männlich geboren, weiblich identifiziert. Der rechtsextreme Politiker hat absichtlich immer er gesagt – um zu zeigen, dass er nicht an Transidentität glaubt und dieser Person nicht den Respekt erweisen will, sie mit ihrem bevorzugten Pronomen anzusprechen. Irgendwann wurde ein anderer Politiker, der auch in der Sendung war, ziemlich wütend, drehte sich zu dem Rechten und sagte: Hör auf damit, das ist widerlich – siehst du nicht, dass du ihn verletzt? – und hat dabei selbst versehentlich das falsche Pronomen benutzt. Was denkst du darüber, wie sehr uns unsere Pronomen-Nutzung verraten kann – und zeigt, dass selbst jemand, der offensichtlich um Höflichkeit bemüht ist (wie ich es auch wäre), und der grundsätzlich daran glaubt, dass eine trans Frau eine Frau ist – dass selbst so jemand im affektgeladenen Moment der Sprache eine ganz andere mentale Verankerung verrät?
McWhorter: Das lässt sich nicht leugnen. Wir leben da gerade in einer spannenden Zeit – denn es ist längst keine Seltenheit mehr, jemanden zu kennen, der als ein Geschlecht geboren wurde und sich heute anders identifiziert. Und das bedeutet: Man muss bewusst über Pronomen nachdenken – etwas, das man sonst nie tut. Man denkt über richtige Wörter nach, nicht über Pronomen. Es ist, als müsste man plötzlich darüber nachdenken, wie man eigentlich geht. Die Wahrheit ist: Bei trans Personen sieht man meist, welches Geschlecht sie ursprünglich hatten – das hat nichts mit Ablehnung zu tun, aber man sieht es eben – und man hat sich daran gewöhnt, dieses Erscheinungsbild mit einem bestimmten Pronomen zu verbinden. Das ist dieselbe mentale Leistung wie beim neuen they. Ich kenne nur eine Person, bei der die Transition wirklich geglückt ist – eine Kollegin, die vom Mann zur Frau wurde. Es hat Jahre gedauert, bis ich spontan she sagen konnte, ohne mich zu verhaspeln – einfach, weil ich sie innerlich wirklich als Frau verarbeitet hatte. Das war nicht leicht. Ich weiß noch, dass sie leicht genervt war, wenn ich das Pronomen falsch sagte – aber es hat nichts geholfen. Ich war im Kopf einfach festgefahren. Ich glaube, das wird uns allen so gehen – und ich denke, die meisten trans Menschen verstehen das auf irgendeiner Ebene. Vor allem, wenn jemand gerade emotional ist und he sagt, obwohl er den Menschen respektiert, der sich als she identifiziert – dann ist das oft nicht böse gemeint, sondern einfach ein mentaler Automatismus. Ich glaube, solche Situationen werden wir alle mal erleben.
Mounk: Jetzt, wo wir schon über Europa sprechen – ich habe da eine Frage zur deutschen Sprache, die mich schon lange beschäftigt. Und ich nutze jetzt einfach mal die Gelegenheit, dich damit zu behelligen. Es gibt in Deutschland – vor allem im linken Spektrum, aber zum Teil auch im Mainstream – die Überzeugung, dass bestimmte generische Nomen automatisch Männlichkeit implizieren. Zum Beispiel: Die männliche Pluralform von Student ist Studenten, die weibliche ist Studentinnen. Und da heißt es: Wenn man sagt die Aula war voll mit Studenten, dann stelle man sich automatisch nur Männer vor. Deshalb wird jetzt oft Studierende verwendet – also wörtlich: Menschen, die gerade studieren. Das soll geschlechtsneutraler klingen, wobei es dabei weniger um Trans-Themen geht, sondern darum, nicht mehr automatisch den Plural in der maskulinen Form zu verwenden. Ich würde gern deine Meinung dazu hören – und ob du glaubst, dass diese Vorstellung von Sprachwandel überhaupt zutrifft. Also: Ist es wirklich so, dass man bei die Aula ist voll mit Studenten automatisch ein Bild voller Männer im Kopf hat? Und wenn man sagt voll mit Studierenden, ändert das dann tatsächlich unser mentales Bild – und damit vielleicht sogar unser gesellschaftliches Denken? Zum Beispiel, dass junge Frauen sich dann eher vorstellen können, selbst zu studieren oder bestimmte Karrierewege einzuschlagen. Hältst du das für realistisch?
McWhorter: Das hängt ganz von der Sprache ab. Im Französischen zum Beispiel – da gibt es ils für eine Gruppe mit Männern (oder gemischt), und elles für eine Gruppe nur mit Frauen. Und da wurde tatsächlich nachgewiesen: Wenn du ils verwendest, auch im „generischen“ Sinn, dann stellen sich die Leute eher Männer als Frauen vor. Man denkt also nicht automatisch an beide. Wenn wir nun über Studenten und Studentinnen sprechen – ich denke, wenn man heute von Studenten spricht, dann stellt man sich eine gemischte Gruppe vor. Niemand sieht da eine Reihe Jungs sitzen wie 1865 in Preußen. Studenten meint beides. Studentinnen dagegen löst tatsächlich ein Bild von einer rein weiblichen Gruppe aus. Es gibt eigentlich kein Wort, das wirklich nur Männer beschreibt. Nur bei Frauen geht das spezifisch. Wenn man eine Alternative hat, wie eben Studierende, ist das eigentlich ziemlich clever. Ich frage mich, ob das mit allen Wörtern funktioniert – aber Studierende löst jedenfalls kein Geschlechterbild aus. Wird das für Frauen besser sein? Keine Ahnung, ob da überhaupt etwas zu reparieren war. Aber wenn’s nicht um Studierende geht, sondern zum Beispiel um Piloten – da stellt man sich tatsächlich eher Männer vor.
Mounk: Im Deutschen heißt das dann Piloten für die männliche Mehrzahl und Pilotinnen für die weibliche. Interessant ist aber: Da gibt’s, glaube ich, keine „gerund“-Form. Pilotierende wäre das grammatikalisch, aber ich habe das noch nie gehört. Das klingt schon ziemlich gestelzt.
McWhorter: Vielleicht sollte man’s trotzdem machen – vielleicht würden sich dann mehr Frauen spontan vorstellen können, selbst Pilotin zu werden. Mir fällt das schwer zu beurteilen, weil ich nicht Teil der Gesellschaft bin. Ich bin grundsätzlich dafür, geschlechtsneutrale Pronomen zu finden – das passiert ja in ganz Europa. Wie heißt das im Deutschen? Xier? Noch nie gehört?
Mounk: Benutzt niemand. Die Lösung im Deutschen ist ziemlich seltsam. Im Schriftlichen gibt’s ein kleines Sternchen – das sogenannte Gendersternchen. Also Student*innen. Aber gesprochen kann man diesen Stern natürlich nicht ausdrücken. Ich halte das für ein zum Scheitern verurteiltes Experiment – aber mich interessiert deine Meinung. Was man in sehr linken, hochgebildeten Kreisen hört, ist eine kleine Pause, die das Sternchen sprachlich darstellen soll. Also man sagt dann nicht Studentinnen oder Studenten, sondern Student—innen – mit einer kurzen Pause.
McWhorter: Das wird sich niemals durchsetzen – außer in genau diesen Kreisen.
Mounk: Da wir jetzt ziemlich nahtlos zu deinem letzten Buch übergeleitet haben – wo stehen wir deiner Meinung nach gerade, in diesem kulturellen Moment, was diese Debatte betrifft? Du und ich, wir haben ja beide Bücher geschrieben, die die Exzesse dieser Ideologie kritisiert haben – zu einer Zeit, in der sie so großen Einfluss auf die Gesellschaft hatte, dass es sich tatsächlich mutig anfühlte, das zu tun. Jetzt befinden wir uns in einer paradoxen Situation, die, wie mir scheint, von drei Dingen geprägt ist – ich würde gern hören, wie du das siehst. Erstens: Viele dieser Praktiken existieren immer noch, und zwar ziemlich stark. Wenn man sich den Schulbereich K–12 anschaut, dann sickert da noch einiges durch, das pädagogische Ansätze prägt – und das bereitet mir weiterhin Sorgen. Zweitens erleben wir natürlich eine heftige politische Gegenbewegung. Eines der Dinge, vor denen ich in meinem Buch gewarnt habe – und du, glaube ich, auch –, war, dass genau das den rechtspopulistischen Backlash nur befeuern wird. Und genau das sehen wir jetzt: einen massiven Versuch, mit staatlicher Macht gegen diese Ideologie vorzugehen – manchmal auf eine sinnvolle Art, etwa wenn tatsächlicher Zwang zurückgedrängt wird. Aber oft eben auch, indem neue Formen von Zwang durchgesetzt werden. Und das macht mir große Sorgen. Und drittens – um noch eine Ebene hinzuzufügen – sieht man inzwischen, zumindest in manchen linken Kreisen, so etwas wie eine Wiederbelebung der Wokeness. Ich fand es ziemlich bemerkenswert, dass der demokratische Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz kürzlich sagte, der Grund für die Wahlniederlage sei gewesen, dass man Wokeness, DEI und Affirmative Action nicht ausreichend verteidigt habe. Steuern wir also auf eine immer heftigere Pendelbewegung zu? Oder gibt es die Chance auf ein vernünftigeres neues Gleichgewicht?
McWhorter: Ich denke, Bücher wie unsere haben durchaus dazu beigetragen, eine Gegenbewegung zu stärken – was bedeutet, dass dieses Phänomen, das uns 2020 und 2021 so aufgeregt hat, inzwischen deutlich aus dem breiten gesellschaftlichen Fokus verschwunden ist. Je nachdem, was man darunter versteht. Es gibt heute viel weniger Fälle, in denen Menschen gefeuert oder gecancelt werden – im weitesten Sinne. Die Leute, die so denken, sind inzwischen in der Defensive – was zwei, drei Jahre lang definitiv nicht der Fall war. Ich glaube, diese Strömung ist noch da – nicht nur im Bildungsbereich, wobei es dort nicht mehr ganz so extrem ist wie 2020. Allein schon, weil sich zum Beispiel das Phonics-Konzept im Lesenlernen durchgesetzt hat – was ja sehr un-woke ist. Aber in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ist diese Form der Wokeness nach wie vor tief verwurzelt. Und ich sehe nicht, was sie dort wieder vertreiben könnte. Noch interessanter finde ich den historischen Blick: Wenn man in zwanzig Jahren zurückschaut, wird man feststellen, dass sich diese besonders wütende Art von Wokeness nicht einfach zurückgezogen hat – sie hat sich vielmehr auf ein sehr konkretes Thema verlagert: Gaza. Die amerikanische Linke geht mit diesem höchst komplexen Konflikt exakt so um wie mit der George-Floyd-Ära: dieselben Slogans, dieselben Denkreflexe, dieselbe Empörungskultur. Nur eben bezogen auf dieses neue Thema. Und ich frage mich: Was passiert, wenn auch dieses Thema wieder verschwindet? Denn das ist etwas, das sich Ausdruck suchen muss – bei einem bestimmten Typ Mensch. Ich bin kein Science-Fiction-Typ, ich kann nicht vorhersagen, wohin es sich entwickeln wird. Aber es wird nie ganz verschwinden. Entscheidend ist, dass es in der Defensive bleibt. Ich hätte allerdings gehofft, dass wir nicht diese plumpen, völlig überdrehten Reaktionen von rechts sehen würden, wie sie jetzt aufkommen. Wer hätte gedacht, dass Trump nochmal Präsident wird? Das ist ein ganz anderes Chaos. Aber: Wokeness ist heute deutlich schwächer als damals. Und normale Leute fühlen sich inzwischen viel wohler damit, das im Büro zu hinterfragen oder sich dem zu widersetzen. Das freut mich. Aber verschwinden wird es nicht. Es ist wie Bettwanzen.
Mounk: Interessant – das ist letztlich eine funktionale Analyse. Du sagst: Es gibt ein gesellschaftliches Bedürfnis nach einem Ventil für moralische Missbilligung. Und ich glaube, darin liegt eine interessante Gemeinsamkeit – und auch ein Unterschied zwischen uns beiden. Du beschreibst Wokeness ja als eine neue Religion – buchstäblich. Ich würde sagen: Wenn Wokeness eine Religion ist, dann ist Marxismus auch eine Religion – und das geht mir persönlich schon einen Schritt zu weit. Aber klar: Sie füllt ein religionsförmiges Loch – in einer moralischen Kultur, die stark von puritanischem Denken geprägt ist und irgendwo ein Ventil braucht, um Abweichler aus der Gemeinschaft zu vertreiben.
McWhorter: Es erfüllt ein Bedürfnis, das diese Leute haben. Die hören damit nicht einfach auf, nur weil das Thema, das sie gerade am meisten interessiert, irgendwann verschwindet. Dann finden sie ein neues. Und es wird interessant sein zu sehen, welches das sein wird. Ich glaube, da kommt etwas völlig Unvorhersehbares. So funktioniert Sozialgeschichte eben. Wir haben keine Ahnung, was in einem Jahr sein wird. Und vielleicht sind sie dann wieder mittendrin. Wir werden sehen.
Mounk: Um das Gespräch vielleicht abzurunden – eine mögliche Schlussfolgerung für mich ist: Ich bin viel optimistischer geworden, was unsere Fähigkeit betrifft, dem Einfluss mancher dieser Ideen in der Gesellschaft zu widerstehen. Aber ich bin gleichzeitig pessimistischer geworden in Bezug auf die Hoffnung, dass das, was danach kommt, ein prinzipientreuer, philosophischer Liberalismus ist – einer, der die Dinge hochhält, die mir wichtig sind: gleiche Würde für alle, rechtsstaatliche Prinzipien. Stattdessen sieht es eher danach aus, als steuerten wir entweder auf eine Pendelbewegung zu, bei der die populistische Rechte gewinnt – was immerhin bedeutet, dass sie nicht woke ist, was ich positiv finde –, die aber viele andere Aspekte hat, die mir große Sorgen machen. Oder wir erleben eine gesellschaftliche Fragmentierung – und das wäre vielleicht sogar das schlimmste Szenario. Dann hätten wir bestimmte Staaten, Kommunen oder Regionen, in denen die Rechte politische Macht ausübt – und diese nutzt, um ihre eigenen Cancel-Kampagnen zu fahren. Und gleichzeitig gäbe es andere Räume – vielleicht einige Anglistik-Departments, Komparatistik-Lehrstühle weltweit, vielleicht manche Unis und viele K-12-Schulen –, in denen die illiberalen Elemente der Woken Linken weiterhin das Sagen haben. Wir würden die Gesellschaft also aufteilen – zwischen zwei illiberale Ideologien –, anstatt zu einem gemeinsamen Verständnis zu finden, was eigentlich die angemessenen Normen für unsere Gesellschaft sein sollten.
McWhorter: Wenn der nächste Präsident JD Vance heißt, dann wissen wir, was das auf allen Ebenen bedeutet. Wenn die Demokraten dagegen jemanden finden, der dieses gewisse Etwas hat – und der Präsident wird jemand, der einfach mal verdammt nochmal Sinn ergibt, der weiß, wie man eine moralische Grundordnung formuliert und mit normalen Menschen kommuniziert –, dann könnte das bedeuten, dass das Pendel in die Mitte zurückschwingt. Dann gäbe es zwar immer noch MAGA-Typen mit Fackeln und JD-Vance-Fans am Rand – aber sie wären am Rand. Und wenn dieser demokratische Präsident dann sogar acht Jahre durchhält – was praktisch zehn Jahre bedeutet – und danach vielleicht jemanden nachzieht, dann hätte ich da durchaus Hoffnung. Aber das gilt nur, wenn der nächste Präsident nicht JD Vance ist. Wenn es so kommt – dann habe ich wirklich keine Ahnung, was ich für die fünfzehn Jahre danach prognostizieren würde.
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Dieses Transkript wurde mit Hilfe von KI übersetzt und von Niya Krasteva redigiert.